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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 11:13:15 GMT 1
Interitus Mundi ist Latein und bedeutet Weltuntergang. Ich denke, das lässt erahnen, in welche Richtung meine Geschichte gehen wird.
Erst mal nicht interaktiv, das Ganze. Mag sich im Verlauf aber ändern.
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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 12:20:04 GMT 1
Wir haben uns selbst zum Untergang verdammt. Wider besseren Wissens sind wir bis an die Grenzen des Machbaren gegangen, haben geglaubt, alles im Griff zu haben. Doch die Realität ist, dass wir nie wirklich alles unter Kontrolle haben. Weder jetzt noch in der Vergangenheit. Wir hätten es wissen müssen, denn gerade die Vergangenheit hat es uns immer wieder gezeigt. Aber wir sind gut darin, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Es wird schon alles gut gehen. Uns wird das nicht passieren. Diesmal wird es richtig laufen ... Es ist schon ein Wunder, dass die Menschheit sich überhaupt so weit hat entwickeln können, wie sie sich entwickelt hat, ohne sich selbst zu vernichten. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir uns nicht mehr werden retten können. Das weiß ich. Die Tage der Menschen sind gezählt.
Wir schreiben das Jahr 2051. Der Mond ist besiedelt, der Mars ebenfalls, wenn auch bisher nur von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Doch wir haben ihn gewagt, den Schritt hinaus ins Ungewisse. Den Neuanfang auf fremdem Boden. Gegen den Widerstand vieler, die der Meinung gewesen sind, dass man die immensen Gelder, die das Unterfangen gekostet hat, besser in den Erhalt der Erde gesteckt hätte. Um zu bewahren, was wir haben. Um die Wunden zu heilen, die wir in unserer Gier nach Wohlstand und Profit tief ins Fleisch unseres Planeten geschlagen hatten. Vielleicht ist da etwas Wahres dran. Ich weiß nicht, ob es alte Zustände wiederhergestellt hätte. Aber wir hätten es versuchen sollen. Wir hätten mit unseren Hintern auf unserer blauen Kugel bleiben und uns verdammt noch mal um unser Zuhause kümmern sollen, statt nach den Sternen zu greifen, weil hier ja doch schon alles hoffnungslos kaputt ist!
Vor fünf Jahren hätte ich noch nicht so gedacht. Nicht einmal vor einem Jahr! Mein Leben lang habe ich davon geträumt, ins Weltall zu fliegen. Die Zukunft der Menschheit habe ich stets dort gesehen, auf fernen Planeten, die unsere schlauesten Köpfe für uns formen und gestalten. Und ich habe derjenige sein wollen, der sie dort hinbringt, diese schlauen Köpfe. Captain Chance McBrea, Commander des Frachters Cassini ... der Mann, der Welten verbindet. Vor allem in Anbetracht der drastischen Folgen des Klimawandels - extreme Hitzewellen auf der einen Seite und Fluten auf der anderen, Wirbelstürme, Waldbrände, Hungersnöte, um nur ein paar zu nennen - habe ich es für immens wichtig gehalten, uns ein zweites Standbein im Weltall zu sichern. Erde 2.0, quasi. Für den Fall, dass alles den Bach runtergeht.
Das tut es nun. Und schneller als geglaubt. Und wer ist schuld daran? Ich! Weil ich ehrgeizig gewesen bin. Und blind vor Gehorsam. Weil ich naiv gewesen bin.
Ich, der Mann, der Welten verbindet, bin verantwortlich für das Aussterben meiner eigenen Rasse!
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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 13:23:11 GMT 1
Vier Monate früher ...
Es piepte einmal laut und anhaltend, dann drang Rains Stimme in vertrauter Sachlichkeit aus dem Comm-Lautsprecher über meinem Bett und in meinen Traum hinein. "Captain? Ich hab den Boss für dich in der Leitung. Nimm mal an!" Ich schlug die Augen auf und starrte an die nahe Kojendecke. Whitaker? Jetzt? So kurz vor Ankunft an Luna One? Stirnrunzelnd richtete ich mich auf und drückte den Knopf an der Comm-Anlage: "Stell durch!" Einen Moment später flackerte der Screen an meinem Mini-Schreibtisch bläulich auf und ein schwarzes, vertrautes Gesicht blickte mir abwartend entgegen. Ich kletterte aus meiner Koje und setzte mich vor den Bildschirm, Haare zerzaust, Augen noch halb zu .. wie man eben aussieht nach zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf. "Admiral?" "Schön, Sie zu sehen, mein Junge. Tut mir leid, wenn ich Sie aus dem Bett geholt habe." Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich hatte mich nur kurz hingelegt. Was kann ich für Sie tun, Sir?" "Wie ich höre, sind Sie nur noch einen Tag vom Mond entfernt." "Das ist richtig, Sir." "Hören Sie, mein Junge ... ich möchte, dass Sie Ihr Flugziel ändern und zur Erde kommen." Ich runzelte die Stirn und war mit einem Schlag hellwach. "Zur Erde? Das geht nicht. Wir haben Proben aus Arsia Mons dabei. die wir auf Luna One abliefern müssen." Whitaker nickte. "Um diese Proben geht es mir. Sie werden hier in Nellis untersucht werden, nicht auf dem Mond." Auf Luna One, der Raumstation, die im stabilen Orbit um den Mond kreiste, hatte die NASA extra eine streng gesicherte Abteilung zur Untersuchung extraterrestrischer Proben eingerichtet. Frühere Überlegungen, solche Proben mit einer Kapsel ungebremst auf die Erde stürzen zu lassen, waren auf Grund des hohen Risikos einer Kontamination unseres Planeten mit möglicherweise gefährlichen Exo-Lebensformen verworfen worden. Man hatte sich dazu entschlossen, solche Proben gar nicht erst mit der Erde in Berührung kommen zu lassen. Und nun bat mich Admiral Whitaker um genau das! "Sir ...", sagte ich mit ernster, eindringlicher Stimme, "... Sie wissen, das ist gegen die Vorschriften. Das kann ich auf keinen Fall tun." "Ich mache die Vorschriften, Captain. Sie befolgen Befehle. Habe ich mich klar ausgedrückt?" Whitakers Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Und trotzdem versuchte ich es noch einmal. "Sir ... wenn diese Proben auf die Erde gelangen, und wenn es dort zu einer Kontamination kommt, dann ..." "Die Wenns überlassen Sie mir", unterbrach Whitaker mich unnachgiebig, sein für gewöhnlich joviales Gesicht nun eine starre, undurchdringliche Maske. "Sie werden tun, was ich Ihnen gesagt habe. Das ist ein Befehl, McBrea! Haben wir uns verstanden?" Es dauerte einen Moment, bis ich reagierte. "Verstanden, Sir." "Gut." Whitakers Miene entspannte sich. Und schließlich lächelte er sogar... ein sichtlich erleichtertes Lächeln. "Ich werde ein Team schicken, das die Proben abholt, sobald die Cassini gelandet ist. Sie und Ihre Crew verlassen das Schiff bitte nicht, sondern warten auf weitere Befehle. Haben Sie das verstanden, Captain?" "Jawohl, Sir." "Dann sehen wir uns in ein paar Tagen. Whitaker Ende." Der Screen wurde schwarz und spiegelte mein sehr besorgt dreinblickendes Gesicht wider. Was zur Hölle war da gerade geschehen?
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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 14:12:38 GMT 1
"Du machst Witze!" Rain sah mich amüsiert, aber auch forschend an. Sie kannte mich gut - das war nicht nur unsere fünfte Mission miteinander, wir hatten auch beide im gleichen Jahr die Akademie abgeschlossen, nur war ich die Karriereleiter etwas schneller aufgestiegen als sie. "Lache ich etwa?" Im Gegenteil. Ich konnte meine Wut kaum zurückhalten. Wut auf Whitaker und seinen bescheuerten Befehl, der eindeutig gegen die Vorschriften verstieß und Wut auf mich, weil ich nicht die Eier in der Hose gehabt hatte, mich ihm zu widersetzen. Rains hübsches Gesicht wurde ernst. "Das kann er unmöglich von dir verlangen! Es ist uns strengstens untersagt, Proben auf die Erde zu bringen. Nicht nur, weil die Proben die Erde verseuchen könnten. Auch unser Schiff könnte das! Immerhin sind wir damit in Arsia Mons gelandet!" "Meinst du, ich wüsste das nicht?", fuhr ich ungehalten auf und funkelte sie an. "Was ist denn hier los? Ihr macht 'nen Lärm für zehn!" Raff, unser Techniker, schob sich durchs Schott ins Cockpit der Cassini, dem Ort, an dem sich Rain, unsere Pilotin, am häufigsten aufhielt - selbst in ihrer Freizeit und obwohl der Kurs einprogrammiert war und die Cassini selbstständig flog. Oder vielleicht gerade deshalb. Sie vertraute Computern nicht. Hatte sie noch nie. "Whitaker will, dass wir ihm die Proben frei Haus liefern", erklärte sie die Sachlage unserem kahlgeschorenen Freund mit den breiten Schultern jetzt trocken. "Wie jetzt, frei Haus?" Raff blickte von ihr zu mir und wieder zurück. "Er will ...", setzte Rain noch einmal an, aber diesmal mit akzentuierter Stimme, "... dass wir in Nellis landen und die Proben einem seiner Teams aushändigen. Jetzt kapiert?" Raffs stoppelbärtige Kinnlade klappte nach unten. Wieder suchte sein Blick mich. "Aber das werden wir nicht tun, oder? Cap?" "Es ist ein Befehl, Raff. Ich hab keine Wahl." "Natürlich hast du die!", flog Rain auf und funkelte mich mit ihren blaugrünen Augen zornig an. "Wir fliegen nach Luna One und geben die Proben dort ab. So einfach ist das!" "Warum sprichst du nicht mit Whitakers Vorgesetztem?", schlug Raff beinahe im gleichen Atemzug vor. "Du meinst, ich soll mit dem Präsidenten persönlich reden?", ätzte ich zurück. Als Zivilist war Raff mit der Militärhierarchie nur bedingt vertraut. Immerhin wusste er, dass unsere Operationen militärisch gesteuert waren und ich das Sagen hatte. Bislang hatte mir das genügt. "Und nein, wir fliegen jetzt nicht nach Luna One, Rain! Ich habe einen klaren Befehl erhalten. Und wenn ich den ignoriere, fliege ich nächste Woche Müll-Bots auf Schrotthalden statt Raumfrachter. Und ihr könnt euch ebenfalls neue Jobs suchen." Das Schweigen, das auf meine Ansage folgte, dröhnte mir in den Ohren. Ich atmete tief durch, lehnte meinen Kopf gegen die Rückenlehne des Co-Pilotensitzes und schloss für einen Moment die Augen. Was für ein Alptraum! Eigentlich sollte ich das Denken einfach ausschalten, denn dafür wurde ich nicht bezahlt. Man würde mir eh nicht an die Karre pinkeln können, egal, was kam, denn ich handelte auf Befehl des Admirals. Wenn, dann geriet Whitaker in die Schusslinie. Aber natürlich wusste ich, dass es falsch war. Die Proben auf die Erde zu bringen. Allein schon, auf dieser zu landen, denn wie Rain sagte, auch unser Schiff konnte kontaminiert sein. Es gab keine Garantie dafür, dass der feurige Eintritt in unsere Atmosphäre eventuelle organische Mitbringsel vernichten würde. Auch auf der Erde gab es Mikroben, die hitzeresistent waren. "Wir sollten darüber abstimmen", kam es kratzig von Raff. "Ellen und Alex sollten auch ein Wörtchen mitzureden haben." Ellen, unsere Exobiologin und Alex, unser Bord-Mediziner. "Das hier ist keine Demokratie, Raff", antwortete Rain ihm düster, ehe ich was sagen konnte. "Das hier ist ein militärischer Einsatz, und Chance ist derjenige, der die Entscheidung treffen muss." Ihr Blick heftete sich auf mich, Raffs Blick folgte ihrem. Mit auf dem Kopf verschränkten Händen sah ich dunkel zurück, und wieder hörte man eine ganze Weile nichts anderes als das leise Zirpen der Instrumente. "Wir fliegen zur Erde." Die Entscheidung war getroffen.
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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 15:15:50 GMT 1
Drei Tage später ...
Unruhig wanderte ich in dem schmalen Gang vor der Luftschleuse hin und her. Wir waren in Nellis gelandet, wie angeordnet. Alles war glatt gegangen, und doch herrschte auf unserem Schiff eine gedrückte Stimmung. Wie erwartet, waren auch Ellen und Alex nicht begeistert gewesen von unserem Befehl. In Ellens Fall war das sogar die Untertreibung des Jahrhunderts, denn sie hatte sich derart über Whitakers Anordnung aufgeregt, dass wir einen Moment lang befürchteten, sie würde einen Herzinfarkt bekommen. Als Exobiologin war natürlich vor allem ihr sehr bewusst, welches Risiko wir eingingen. Doch ihren zornigen Protesten zum Trotz setzte die Cassini wenige Tage später auf Nellis Airbase auf. Und nun warteten wir mit mulmigem Gefühl auf das Erscheinen von Whitakers Expertenteam, um unsere heikle Fracht übergeben zu können. "Sie sind da", hörte ich Rains Stimme in meinem Comm-Link am Ohr. ich nickte, als ob sie mich sehen könnte und ging zur Schleuse, um die Außentür von dort aus zu öffnen. Ein Klacken war zu hören, als die Tür entriegelte, und dann sah ich durch das Bullauge der Schleuse mehrere Personen in weißen Schutzanzügen das Schiff betreten. Als alle an Bord waren, verschloss ich die Außentür und öffnete die Schleusentür, um Whitakers Leute einzulassen. "Captain McBrea?", wandte sich die erste vermummte Gestalt an mich, eine Frau in den mittleren Jahren, wie ich durch ihren Sichtschutz erkennen konnte. Ich nickte. "Mein Name ist Doktor Chandler. Bitte führen Sie uns zu den Proben." Ihre Stimme klang schneidend, und das lag sicher nicht nur daran, dass sie mir über einen kleinen Lautsprecher am Rand ihres Helms entgegenklang. "Kommen Sie bitte mit, Doktor." Ich drehte mich herum und ging in Richtung Labor davon ... kein weiter Weg, denn die Cassini war insgesamt nicht sonderlich groß. Musste sie auch nicht, da sie im Regelfall nur Proben transportierte und manchmal eben auch Personen. Nur wenig später hatten wir das Labor erreicht. Ich öffnete die Tür und trat ein. Ellen, die sich schon den ganzen Tag in diesem Raum vergraben hatte wie eine Höhlenbärin, die entschlossen war, ihre Jungen gegen jedweden Eindringling zu verteidigen, drehte sich auf ihrem Stuhl zu uns um und musterte die Neuankömmlinge düster. "Doktor Murray?", sprach die Anführerin des Trupps sie an. "Mein Name ist Doktor Chandler. Bitte händigen Sie uns die Proben aus, die Ihre Crew in Arsia Mons gesammelt hat." Ellen sah von ihr zu mir, und als ich kaum merklich nickte, stand sie stumm auf und wandte sich dem linken Bereich ihres Labors zu, einem kleinen Raum, der durch eine verriegelte Metalltür und ein großes Panzerglasfenster abgesichert war. Hinter dem Panzerglas sah man Schränke, welche ebenfalls elektronisch verriegelt waren. Dort lagerten die Proben in stickstoffgekühlten Behältern. Ellen entriegelte den Raum mit zusammengekniffenen Lippen und betrat ihn, gefolgt von den weißen Schutzanzügen. Nachdem sie auch die Schränke zugänglich gemacht hatte, wandte Doktor Chandler sich mit den Worten an sie: "Vielen Dank. Wir machen das jetzt! Bitte warten Sie draußen." Ellen blickte fragend zu mir. Man sah ihr an, wie ungerne sie diese Fremden mit ihren Babys alleine ließ. Aber auf einen Wink von mir folgte sie mir durch die Tür, und wir sahen vor der großen Glasscheibe zu, wie Doktor Chandlers Team mitgebrachte Koffer öffnete, dann die Apothekerauszüge der Schränke herauszog und die Proben eine nach der anderen mit ihren dicken Handschuhen herausnahm und in ihren Koffern verschwinden ließ. "Das ist so falsch!", zischte mir Ellen mit wutbebender Stimme zu, den Blick starr auf die Eindringlinge vor ihr geheftet. Ich sagte nichts dazu, auch wenn ich ihr im Stillen Recht gab. Die letzten Tage hatte ich damit verbracht, immer und immer wieder meine Entscheidung zu hinterfragen, mir einen Ausweg aus dieser an sich ausweglosen Situation zu basteln oder zumindest etwas Ruhe in dem Wissen zu finden, dass das Ganze größer war als ich selbst und es auf meine Entscheidung ja eigentlich gar nicht ankam. Das einzige, was ich entschieden hatte, war, ob ich weiterhin im Job blieb oder nicht. Die Proben wären letztlich sowieso auf der Erde gelandet. Das zumindest sagte ich mir in den letzten Tagen immer wieder ... später sollte ich die Sache anders sehen, sollten meine Schuldgefühle ins Unermessliche wachsen. Aber noch war es nicht so weit.
Es dauerte vielleicht zwei, drei Minuten, und dann war alles ausgeräumt und verstaut und Doktor Chandlers Team auf dem Rückweg. Nach einer kurzen Dekontaminationsdusche in der Luftschleuse verließen sie die Cassini, und meine Crew und ich fanden uns schweigend im kleinen Speiseraum ein, dem einzigen Raum, wo genügend Platz für mehrere Personen gleichzeitig war, und wir warteten auf weitere Befehle.
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Post by Chance McBrea on Jul 3, 2022 16:03:31 GMT 1
Die Befehle kamen nicht. Stattdessen näherte sich irgendwann ein kleiner Trupp Soldaten unserem Schiff, was Rain auffiel, nachdem sie vor lauter Langeweile vom Speiseraum wieder ins Cockpit gewechselt und einen Blick durchs Fenster auf das Flugfeld geworfen hatte. "Äh ... Cap?", klang es irritiert über die Bord-Kommunikation. "Wir bekommen Besuch. Schon wieder ..." Ich sah von Raff zu Ellen, dann zu Alex. Dann stand ich auf und verließ den Speiseraum in Richtung Cockpit, mit derart tiefen Sorgenfalten auf meiner Stirn, dass ich das Gefühl hatte, sie nach dem heutigen Tag nie mehr loszuwerden. Ich bekam nicht mal mit, dass die drei anderen mir folgten. Nachdem ich das Cockpit betreten hatte, legte ich einen Arm auf Rains Rückenlehne, den anderen stützte ich auf ihrer Armlehne auf und blickte an ihr vorbei auf das Rollfeld, auf dem in der Tat sechs Männer in Uniform auf unser Schiff zuhielten. Was sollte das denn jetzt? Fast im gleichen Moment wurde der Eingang einer Nachricht am Cockpit-Terminal angezeigt. Ich drückte einen Knopf, um sie anzunehmen, und wieder erschien Whitakers Gesicht auf dem Screen. Hatte ich seit unserer Landung genau darauf gewartet, denn immerhin hatte er weitere Befehle angekündigt, vermittelte mir sein Anblick jetzt ein ungutes Gefühl. "Captain McBrea? Öffnen Sie die Außentür!" Meine Nackenhaare stellten sich auf bei seinem Befehlston und ich erwiderte, was ich in meinem Leben noch nie einem vorgesetzten Offizier erwidert hatte: "Warum, Sir?" Whitakers Brauen rutschten tief in seine Augen. "Warum, Sir?", echote er. "Weil ich Ihnen das sage! Nun machen Sie schon, Mann!" Rain versteifte sich und sah mich aus ihrem Sitz heraus an. Ich reagierte nicht auf ihren Blick, sondern hielt meinen immer noch fest auf Whitaker gerichtet. "Sir? Sie sprachen von neuen Befehlen. Was wird unsere nächste Aufgabe sein?" Irgendwie hatte ich die Hoffnung, wenn ich ihn in ein "geschäftliches" Gespräch verwickelte, würde alles wieder normal werden. Er, die Situation ... Aber das wurde es nicht. "Sie machen jetzt diese VERDAMMTE TÜR auf, McBrea!", bellte er nun. Rains Finger flog auf den Knopf neben dem Screen und sie beendete die Kommunikation. "Scheiße, Chance! Lass uns abhauen! Der Typ hat uns reingelegt!" Ich wusste, was sie meinte. Starten, wegfliegen, ehe wir wegen groben Vergehens gegen die Vorschriften verhaftet und vors Militärgericht gebracht würden. Vorschriften, die besagten, dass ein Raumschiff mit extraterrestrischer Fracht AUF KEINEN FALL auf der Erde landen durfte! "Das können wir nicht", erwiderte ich und sah Rain mit aufkommender Verzweiflung an. "Wenn wir jetzt wegfliegen, war's das. Deine Karriere, meine Karriere, unsere Jobs ... alles aus!" "Aber der Typ hat uns verarscht!!", fauchte sie mich an und deutete mit ihrem ausgestreckten Zeigefinger auf den toten Bildschirm. "Der hat, was er wollte, und jetzt lässt er uns verhaften, damit wir aus dem Weg sind und niemandem erzählen können, dass wir auf seine Anweisung gehandelt haben!" "So ein Blödsinn!", widersprach ich heftig, obwohl mir klar wurde, dass sie recht hatte. "Das würde er nicht tun. Er ist ein anständiger Kerl! Ich kenne ihn seit sieben Jahren! Er hat mich gefördert! Scheiße, durch seine Fürsprache habe ich DIESEN JOB HIER bekommen! Der würde mich nicht verarschen!" "Gott, bist du naiv!", fauchte Rain weiter, nur einen Sekundenbruchteil später hörte ich hinter mir ein verächtliches "Sie hat Recht" von Ellen, und Raff schnaubte bestätigend. Ich drehte mich zu ihnen um und sah sie in der Cockpittür stehen. Alex hinter ihnen konnte ich zwar nicht sehen, aber seine wütende Stimme hörte ich dafür umso besser. "Abhauen? Ihr habt sie wohl nicht alle! Ich habe Familie hier! Wie stellt ihr euch das vor? Mach die Tür auf, Cap! Das wird sich schon alles klären. Whitaker hat es uns BEFOHLEN, die Proben auf die Erde zu bringen! Was soll uns schon passieren?" "Was uns passieren soll?", spuckte Ellen ihm entgegen, während sie ihn über die Schulter ansah. "Was wird aus deiner Familie, wenn sie dich einsperren, du Genie? Mal daran gedacht? Ich sage, wir verschwinden und warten ab, bis sich die Lage beruhigt hat!" "Und wo willst du hin?", fragte ich leise ... und doch laut genug, dass ich die Aufmerksamkeit aller hatte. "Wir können mit der Cassini nirgendwo anders landen. Auch dann nicht, wenn wir den Transponder ausschalten. Sie fällt überall auf, egal, wohin wir fliegen. Oder willst du zurück zum Mars? Oder zum Mond?" Weder auf dem roten Planeten noch auf dem Erdtrabanten waren die Siedlungen groß genug, um dort unterzutauchen. Das wussten wir alle. "Erst mal weg", antwortete Rain, deren Wut sich offenbar ebenfalls in Verzweiflung zu verwandeln begann ... das hörte man ihr an. "Ist doch egal, wohin. Wir bringen sie irgendwo runter, und dann machen wir uns aus dem Staub." "Ich werde nicht gehen!", wiederholte Alex fest. In dem Moment krachte es rhythmisch gegen die Tür. Als ich die Außenbord-Kamera einschaltete, sah ich, wie einer der Soldaten mit seinem Gewehrkolben hart bei uns anklopfte. Mein Blick wanderte vom Kamera-Bildschirm zum schwarzen Kommunikationsbildschirm, neben dem es rot flackerte ... Whitaker, der uns wohl noch einiges zu sagen hatte. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch. Dann öffnete ich über das Cockpit-Panel die Außentür. Sogleich sah man die Soldaten im Laufschritt eindringen. Ich konnte einfach nicht anders. Weglaufen war nicht mein Ding. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, und nun würde ich auch dazu stehen.
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